In seinen Pariser Exiljahren beschäftigt sich Walter Benjamin mit den neuen technischen Entwicklungen. Die 1930er-Jahre sind geprägt von neuen technischen Errungenschaften. 1935 entwickelt die deutsche Firma AEG das erste Tonbandgerät und Leni Riefenstahl dreht den Propagandafilm „Triumph des Willens“, eine Dokumentation über den Reichsparteitag der Nationalsozialisten in Nürnberg. So entsteht 1935 der Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“, der 1936 in der Zeitschrift für Sozialforschung auf Französisch publiziert wurde.
Sein Essay kann als Reaktion auf den Wandel der Kunst in der Gesellschaft gewertet werden. Während Walter Benjamin dieser Entwicklung einen positiven Aspekt abgewinnen kann, greift Theodor Adorno Benjamins These auf und verweist auf die negativen Aspekte der technischen Reproduzierbarkeit. Regression und Fetisch-Entwicklung seien die Folgen der massenhaften Vervielfältigung.
Nach Walter Benjamins Tod veröffentlichen Theodor Adorno und Scholem dessen gesellschaftskritische Schriften. Seitdem gehört Benjamin zu den bekanntesten Literaturkritikern und Philosophen und sorgt heute noch für Diskussionen in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern.
Die Tatsache, dass Benjamins Theorie von 1936 heute seine Aktualität nicht verloren hat, macht den Aufsatz zu einem Standardwerk der Medienwissenschaft
Kunstwerke waren einst Kult- und Religionsgegenstände. Sie entstanden im Dienst des magischen, später des religiösen Rituals.
Sie waren nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt und bedurften keiner Schönheit. Sie wirkten im Verborgenen. Götterstatuen waren Priestern zugänglich, Madonnenbilder blieben das ganze Jahr über verhängt. Manche Skulpturen an mittelalterlichen Domen, sind für den Betrachter von unten nicht sichtbar.
„Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus.“
Im Lauf der Zeit wurde das Kunstwerk aus dem religiösen Ritual befreit. Es verlor seine ontologische Bedeutung und Verpflichtung.
Damit einhergehend ergaben sich Möglichkeiten, es auszustellen, was dann den Charakter der Kunstwerke selbst veränderte: Losgelöst von der einstigen Verankerung im geheimen Ritus wird es zum transparenten Ausstellungsobjekt.
Porträtbüsten, Tafelbilder und Installationen lassen sich leichter transportieren als Götterstatuen und Fresken. Die Kunst- und Ausstellungsobjekte sind an keinen Ort und Zusammenhang gebunden. Sie werden mobil und dann internetaffin.
Der Ausstellungswert eines Kunstgegenstands verdrängt allmählich dessen Kultwert und seine Aura.
Die massenhafte Duplizierung des Werks in der Vermarktung unzähliger Produkte des Alltags und die Berichterstattung der Berichterstattung entsublimieren das Kunstwerk und stürzen es vom Sockel.
Bejamin: „Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“
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Das Kunstwerk, so Benjamin, sei grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht haben, das könne immer von Menschen nachgemacht werden. Kunst sei zur Übung in den Ateliers und Akademien, von Meistern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnlüsternen Dritten immer schon kopiert worden. Die technische Reproduktion des Kunstwerkes, so Benjamin sei aber etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinanderliegenden Schüben, aber mit wachsender Intensität durchsetzt habe.
Die Griechen kannten nur zwei Verfahren technischer Reproduktion von Kunstwerken: den Guss und die Prägung. Bronzen, Terrakotten und Münzen waren die einzigen Kunstwerke, die von ihnen massenweise hergestellt werden konnten. Alle übrigen waren einmalig und technisch nicht zu reproduzieren. Mit dem Holzschnitt sei zum ersten Male die Grafik technisch reproduzierbar gewesen. Ihr folgte die Schrift. Die ungeheuren Veränderungen, die der Druck, die technische Reproduzierbarkeit der Schrift, in der Literatur hervorgerufen hat, seien bekannt. Zum Holzschnitt treten im Laufe des Mittelalters Kupferstich und Radierung, sowie im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Lithografie. Dies sei eine gänzlich neue Stufe. Das sehr viel bündigere Verfahren, das die Auftragung der Zeichnung auf einen Stein von ihrer Kerbung in einen Holzblock oder ihrer Ätzung in eine Kupferplatte unterscheidet, gab der Grafik zum ersten Mal die Möglichkeit, ihre Erzeugnisse nicht allein massenweise (wie vordem) sondern in täglich neuen Gestaltungen auf den Markt zu bringen. Die Grafik wurde durch die Lithografie befähigt, den Alltag illustrativ zu begleiten. Sie begann, Schritt mit dem Druck zu halten. In diesem Beginnen wurde sie aber schon wenige Jahrzehnte nach der Erfindung des Steindrucks durch die Fotografie überflügelt.
Mit der Fotografie war die Hand im Prozess bildlicher Reproduktion zum ersten Mal von den wichtigsten künstlerischen Obliegenheiten entlastet, welche nunmehr dem ins Objektiv blickenden Auge allein zufielen. Da das Auge schneller erfasst, als die Hand zeichnet, so wurde der Prozess bildlicher Reproduktion so ungeheuer beschleunigt, dass er mit dem Sprechen Schritt halten konnte. Der Filmoperateur fixiert im Atelier kurbelnd die Bilder mit der gleichen Schnelligkeit, mit der der Darsteller spricht.
Um neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nur die Gesamtheit der überkommenen Kunstwerke zu ihrem Objekt zu machen und deren Wirkung den tiefsten Veränderungen zu unterwerfen begann, sondern sich einen eigenen Platz unter den künstlerischen Verfahrungsweisen eroberte.
Seine Theorie beweist höchste Aktualität, denn Walter Benjamin geht auf den Missbrauch der Medien durch die Politik ein.
Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verändert das Verhältnis der Masse zur Kunst. Das Gemälde hatte stets ausgezeichneten Anspruch auf die Betrachtung durch Einen oder durch Wenige. Die simultane Betrachtung von Gemälden durch ein großes Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert aufkommt, ist ein frühes Symptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Fotografie allein, sondern relativ unabhängig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelöst wurde.
Es liegt eben so, dass die Malerei nicht imstande ist, den Gegenstand einer simultanen Kollektivrezeption darzubieten, wie es von jeher für die Architektur, wie es einst für das Epos zutraf, wie es heute für den Film zutrifft.
Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist.
Benjamin kritisiert eine Ästhetisierung politischer Meinungsbildung, die den Ausstellungswert über den Wahrheitsgehalt stellt und fordert stattdessen eine Politisierung der Kunst.
Auch heute hat Benjamins Abhandlung eine erhöhte Aktualität.
Die technische Reproduzierbarkeit mündet in die Digitalisierung und nach dem zerstreuten Fernseh- und Kinoschauer gibt es die digital Natives und ihre Plattformen.
-gru-